Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft by Erich Fromm

Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft by Erich Fromm

Autor:Erich Fromm [Fromm, Erich]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fachbuch
ISBN: 9783959120029
Herausgeber: Open Publishing
veröffentlicht: 2014-12-11T23:00:00+00:00


Angst vor dem Sterben – Bejahung des Lebens

Es ist vorhin schon gesagt worden: Wenn das Gefühl der Sicherheit auf dem beruht, was man hat, dann ist Angst vor dem Verlust des Besitzes die unausbleibliche Folge. An dieser Stelle möchte ich diesen Gedanken einen Schritt weiter verfolgen.

Es mag einem vielleicht möglich erscheinen, sich nicht an Besitztümer zu hängen und daher auch keine Angst vor ihrem Verlust zu haben. Aber gilt das auch in Bezug auf die Angst, das Leben zu verlieren, die Angst vor dem Sterben? Haben alle Menschen Angst vor dem Sterben? Oder nur Alte und Kranke? Oder belastet das Wissen, dass wir sterben müssen, unser ganzes Leben und wird die Angst vor dem Sterben nur intensiver und bewusster, je näher wir durch Alter und Krankheit an die Grenzen des Lebens gelangen?

Wir bräuchten groß angelegte, systematische psychoanalytische Untersuchungen mit dem Ziel, dieses Phänomen von der Kindheit bis ins hohe Alter zu studieren und dabei sowohl bewusste als auch unbewusste Manifestationen der Angst vor dem Sterben einzubeziehen. Solche Studien müssten sich nicht auf Individuen beschränken, sondern könnten große Gruppen mit Hilfe vorhandener Methoden der Soziopsychoanalyse untersuchen. Da es keine solchen Studien gibt, müssen wir aus vielen verstreuten Einzeldaten vorläufige Schlussfolgerungen ziehen.

Das bemerkenswerteste Faktum ist vielleicht der eingefleischte Wunsch nach Unsterblichkeit, der sich wie bereits erwähnt in den vielen Riten und Glaubensinhalten manifestiert, die die Erhaltung des menschlichen Körpers zum Ziel haben. Auf der anderen Seite spricht die heute übliche, besonders die amerikanische Leugnung des Todes durch die „Verschönerung“ der Leiche für die Verdrängung der Angst vor dem Tode, indem man den Tod verschleiert. [II-360]

Es gibt nur einen Weg, diese Angst wirklich zu überwinden. Buddha, Jesus, die Stoiker, Meister Eckhart haben ihn uns gelehrt: sich nicht an das Leben zu klammern, es nicht als einen Besitz zu betrachten.

Die Angst vor dem Tod und dem Sterben ist eigentlich nicht das, als was sie erscheint: Angst, nicht weiterzuleben. Wie Epikur sagte: Der Tod geht uns nichts an, denn solange wir sind, ist der Tod noch nicht da; aber wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr (nach Diogenes Laertius, 1956, X, 125). Freilich kann man sich vor dem Leiden und den Schmerzen fürchten, die dem Sterben vorausgehen können – aber das ist etwas anderes als die Angst vor dem Sterben. Aber während es somit scheinen könnte, dass die Angst vor dem Sterben irrational sei, trifft das nicht zu, wenn das Leben als ein Besitz erlebt wird. Man hat dann nicht vor dem Sterben Angst, sondern davor, zu verlieren, was man hat: seinen Körper, sein Ego, seine Besitztümer und seine Identität, die Angst, in den Abgrund der Nichtidentität zu blicken, „verloren“ zu sein.

In dem Maße, in dem wir in der Existenzweise des Habens leben, müssen wir das Sterben fürchten, und keine rationale Erklärung wird uns von dieser Angst befreien. Aber sie kann selbst noch in der Stunde des Todes gemildert werden – durch Bekräftigung der Liebe zum Leben, durch Erwiderung der Liebe anderer, die unsere eigene Liebe entfachen kann. Aber die Bekämpfung der Angst



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